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Werke von Maximilian Schmidt

 

Maximilian Schmidt
 
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Der Drachenstich

Die Beschreibung vom Drachenstich ist im Buch Die Christkindlsingerin zu finden. Im Vergleich zu heute war die Veranstaltung vor über hundert Jahren viel schlichter, zog aber dennoch zahlreiche Besucher nach Furth im Wald. Zur heutigen Aufführung siehe die Seite vom Drachenstich.

  "Der Drachenstich, dieses eigentümliche Volksfest, das zu Furth alljährlich am Sonntage nach dem Frohnleichnamsfeste abgehalten wird, verdankt seinen Ursprung wahrscheinlich einer jener Lindwurmsagen, die ehedem fast in allen Gebirgsländern unter dem Volke verbreitet waren.

  Das Schauspiel, das zum Nutzen der Wirte, Bäcker und Metzger immer sehr viele Zuschauer aus der Umgegend, namentlich aus Böhmen, herbeizieht, geht in den ersten Nachmittagsstunden des genannten Tages auf dem Stadtplatze vor sich. Die auftretenden Personen sind: Ein Rittersmann zu Pferd, in Harnisch, Blechhaube und Kanonenstiefeln, umgeben von einer Schar Trabanten; dann eine Königstochter aus unbekanntem Lande, welche zum Zeichen ihres hohen Standes ein Goldkrönlein auf dem Haupte trägt und mit so viel Silberschnüren und Schaumünzen behängt ist, als man nur immer auftreiben kann. Eine Ehrendame, „die Nachtreterin“ genannt, begleitet die Prinzessin und trägt auf einem Teller den für den Ritter bestimmten Ehrenkranz. Dazu kommen noch Edelfräuleins, Ritter und Knappen, welche vor dem Drachenstiche zu Wagen und Pferd, an der Spitze eine altertümlich gekleidete Musikbande, durch die Straßen der Stadt ziehen.

  Die Prinzessin nimmt dann auf einer erhabenen Bühne Platz. Ihr gegenüber stellt sich in einiger Entfernung der Drache auf, ein greuliches Monstrum, dicken, ungestalten Leibes; näher beschaut freilich nur ein Holzgerippe, mit bemalter Leinwand überzogen und von zwei im Innern verborgenen Männern bewegt.

  Ein dichter Menschenknäuel sammelt sich jedesmal um diese abenteuerliche Erscheinung, und dann macht sich der Drache bisweilen den Spaß, mit aufgesperrtem Rachen unter die Menge zu rennen, die eilig zurückweicht und dabei in possierlicher Weise übereinanderpurzelt. Der Hauptspaß aber ist, wenn es dem Ungeheuer gelingt, eine Böhmin in dem Haufen zu packen und ihr mit den Zähnen die breite Tellerhaube vom Kopfe zu reißen. Dieser Coup erregt unausbleiblich ein echt homerisches Gelächter, aus tausend Kehlen erschallend.

  Inzwischen sprengt der Ritter zur Prinzessin heran und es entspinnt sich zwischen beiden nachfolgender Dialog in altväterischen Knittelversen:

  Ritter.
Grüß Gott, grüß Gott, ihr königliche Tochter mein!
Was macht ihr hier auf diesem harten Stein?
Mich dünkt’s, ihr seid ganz trauervoll,
Die Sach’, die Sach’ steht nicht gar wohl.

  Prinzessin.
Ach, edler, treuer Rittersmann!
Mein’ Not und Treu klag ich Euch an.
Ich wart’ dahier auf Drachengreul,
Er wird mich schlucken in schneller Eil! –

  Ritter.
Schad’t nicht, schad’t nicht, seid wohlgemut!
Die Sach’, die Sach’ wird b’währt und gut!
Rufet zu mir und betet zu Gott,
Er wird uns helfen aus aller Not.

  Prinzessin.
Ach, edler, treuer Rittersheld,
Flieht weit hinweg, flieht weit ins Feld!
Sonst müßt ihr euer ritterliches Leben
Mit mir bis in den Tod aufgeben.

  Ritter.
Ich als starker Rittersmann! –
Das grausam Thier macht mir nicht bang.
Mit meinem Degen und Rittershand,
Will ich es räumen aus dem Land.

  Prinzessin.
Seht, seht, Ritter und Herr!
Das grausam Tier tritt schon daher! – –

  Während dieser Worte rückt der Drache gegen die Bühne vor und stellt sich an, als wolle er die Prinzessin verschlingen. Doch der kühne Ritter sprengt ihm entgegen und stößt seine Lanze tief in den Rachen des Ungeheuers. Bei diesem Manöver muß aber derjenige, welcher die Rolle des Ritters spielt (immer ein junger Bürgerssohn), bedacht sein, die in der Gaumenhöhle verborgene mit Blut gefüllte Blase zu treffen.

  Das Volk will Blut sehen, sei es auch nur unschuldiges Ochsenblut, udn wenn der Held des Tages fehlsticht, überschüttet ihn ein Hagel von Spottreden.

  Ist der Lanzenstich glücklich beigebracht, so zieht der Ritter sein Schwert und haut den Drachen ein paar Mal über den Schädel und macht ihm vollends den Garaus. Nachdem er auf diese Weise das Scheusal abgethan, sprengt er unter dem Beifall des Volkes zu der Prinzessin zurück und ruft siegesfroh aus:

Freud! Freud! Ihr königliche Tochter mein!
Jetzt könnt ihr frisch und fröhlich sein!
Dem Drachen hab’ ich geben seinen Rest,
Weil er die Stadt so lang gepreßt.

  Die Prinzessin dankt mit den Worten:

Ach, edler, treuer Rittersheld,
Weil er den Drachen hat angefällt,
Zu seinem Degen und Ritterlanz’
Verehr ich ihm ein schön’s Ehrenkranz.

  Hiermit steigt sie von der Bühne herab und spricht, indem sie dem Ritter den Kranz um den Arm bindet, die Schlußverse:

Der Herr Vater und Frau Mutter werden kommen sogleich
Und werden uns geben das halbe Königreich! –

  Die Trabanten nehmen jetzt den Ritter und die Prinzessin in die Mitte und geleiten mit dem übrigen Hofstaate sie in die Herberge zum Rittertanze.

  Die Zuschauer zerstreuen sich nun auch in die Schenken und das Fest endet, wie die deutschen Volksfeste immer, mit einem allgemeinen Trinkgelage. Früherhin tauchten viele weiße Tücher in das Drachenblut, um mittels derselben einen hohen Flachswuchs zu erzielen oder bösen Feldzauber damit zu vernichten.

  [...] Da in den meisten Fällen der Ritter und die Prinzessin Verlobte sind oder bei dem Rittertanze öfters solche werden [...]

  Über das Herkommen und den Sinn dieses Drachenkampfes weichen die Meinungen von einander ab. Die Annahme, daß dieser Drachenstich aus dem Heidentume stamme, wird durch den Aberglauben motiviert, den das Volk der Heilsamkeit des Drachenblutes für das Gedeihen der Flachsäcker zuschreibt. Der Volksglaube haftet in der Regel nur an Gebräuchen, die aus dem alten Heidentume stammen und mit uralten Kultusgebräuchen, namentlich mit Festfeuern und Opfermahlen, in irgend einem Zusammenhange stehen. So hält man diesen Drachenstich für den Überrest eines alten Sommerfestes, wo der Sieg des Sommers über den Gewitterdrachen, der das junge, im Frühlingsschmucke prangende und glänzende Jahr – die Prinzessin – mit seinen Schrecken und Verderben bisher bedroht hat, gefeiert wird. Nach anderen stellt die Handlung die Besiegung des Lindwurmes durch den St. Georg vor. Über das Herkommen dieses Festes lebt im Volke die Sage, daß einmal in Furth die Pest gehaust und viele Menschen dahingerafft habe. Niemand habe damals die Toten begraben wollen, da habe man den Drachenstich aufgeführt und dadurch das Herzuströmen Schaulustiger nach dem verpönten Orte bezweckt. Seit jener Zeit wird dieses Fest nun alljährlich wiederholt."

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