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Werke von Maximilian Schmidt

 

Maximilian Schmidt
 
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Sage von der Kristallkönigin

Über die Entstehung des Pfahls
 
(aus dem Buch Der Bettler von Englmar)

  Es war einmal vor vielen, vielen Jahren ein alter Ritter, dem das nahe gelegene Schloß Bernstorf gehörte und dessen einziger Sohn Berchtold hieß. Diesen wollte er mit der schönen Wolfsindis, der Tochter des Ritters von Kolmperg (nunmehr Kollenburg), verheiraten, denn Wolfsindis war ebenso tugendsam und fromm, als sie schön war, und galt als die Zierde aller Mädchen in der ganzen Gegend. Der junge Berchtold war ihr auch von Herzen zugetan und freute sich der Stunde, wo er sie als seine Hausfrau heimführen könne. Fast jeden Tag ritt er nach Kolmperg hinüber, denn die beiden Burgen lagen nicht weit voneinander. Die übrige Zeit brachte er im Walde zu als großer Liebhaber des Weidwerks, denn an Wild aller Art war damals in den Bergen kein Mangel.

  Eines Tages hatte er sich, müde von der Jagd, an einen schönen grünen Hügel unter einen überhängenden Felsen gelegt, als ihn in der Einsamkeit und Stille, die im dichten Walde ringsum herrschte, der Schlaf überkam und er einen ganz seltsamen Traum hatte. Es war ihm, als wäre der Felsen, unter dem er lag, geöffnet und daraus käme ein seltsame Frauengestalt hervor; sie war groß und stattlich und von wunderbarer Schönheit. Sie hatte rote Wangen wie Kirschen und rote Lippen wie Erdbeeren und dunkle Augen, die wie Edelsteine funkelten; ihr Haar war aber nicht, wie das eines Menschen zu sein pflegt, schwarz oder blond oder braun, sondern schön dunkelgrün, wie das Laub an der Eiche ist. Sie hatte ein weites Gewand von weißem Bergflachs an, das wie Silber flimmerte; darüber trug sie einen Gürtel von rotem Gold, der war mit Rubinen und Amethysten wie mit Sternen besäet. Auf dem Haupte aber hatte sie ein Krönlein, das war zackig und sah aus wie von Glas und Kristall. Die Frauengestalt nun, wie sie den schlafenden Berchtold sah, setzte sich neben ihn in das Gras und redete mit ihm.

  „Fürchte dich nicht vor mir,“ sagte sie, „ich tue dir nichts zuleid und meine es gut mit dir!“ Dann fuhr sie ihm mit der Hand über die Stirne, und nun wußte er gar nicht mehr, wie ihm geschehen. Er schlief ganz fest fort und doch war ihm, als sei er wach und ging an der Hand der Frau und sie führe ihn durch den Felsen, tief, tief in die Erde hinab. Dort sah er einen großen, königlichen Palast, der war ganz von Kristall erbaut und stand auf einer schönen, grünen Wiese voll bunter Blumen, die Blumen aber waren lauter Edelsteine. Und es kam eine große Menge Frauen und Männer, die waren prächtig gekleidet und sangen Lieder, die Berchtold zwar nicht verstehen konnte, die aber gar süß, und lockend anzuhören waren. Dann führte ihn die Frau in den Palast selbst hinein und in einen großen Saal, wo alles von Gold und Lichtern funkelte, und indem sie auf einen Thron stieg, sagte sie: „Sieh, ich bin die Kristallkönigin, und das ist mein Reich! Ich teile es mit dir, wenn du willst, denn ich habe dich zu meinem Gemahl erkoren.“

  Berchtold war hingerissen von der Schönheit der Königin, die aber küßte ihn auf die Augen und steckte ihm einen Ring mit einem blauen Stein an den Finger.

  In diesem Augenblick war es Berchtold, als wenn er mit einem starken Ruck aus großer Höhe herabfiele, und wie er sich aufrichtete und besann, lag er unter dem überhängenden Felsen im Gras, wie er eingeschlafen war; durch die Bäume blitzte aber schon das Abendrot herein. Verwirrt sprang er auf und wunderte sich, wie er so lange zu schlafen und so absonderlich zu träumen vermocht. Da bemerkte er an seinem Finger den Ring, den ihm die Kristallkönigin gegeben – der Ring war wirklich da, es konnte also nicht alles ein Traum sein. Bestürzt und unruhig untersuchte Berchtold den Felsen, ob er nicht einen Eingang, eine Spalte entdecken könne, aber es war umsonst, und auch nicht die kleinste Ritze zu bemerken. Endlich machte er sich, in allerlei Gedanken vertieft, auf den Heimweg, denn für heute war es schon zu spät, um noch nach Kolmperg hinüberzureiten, und so war es das erste Mal, daß die schöne Wolfsindis auf dem Erker des Schlosses ihn vergebens erwartete.

  Das geschah aber von nun an öfter und öfter und zuletzt alle Tage, denn mit Berchtold war seit dem Traum im Walde eine große Veränderung vorgegangen. Er war finster und in sich gekehrt, wie er früher heiter und zutraulich gewesen, es war ihm am liebsten, allein zu sein, um seinen Gedanken nachhängen zu können. So oft es nur anging, schlich er sich in den Wald an die Stelle, wo er damals gelegen hatte. Dann zog er den Ring vom Finger, küßte ihn und sprach mit ihm, als wenn der Ring etwas davon verstünde, und sehnte sich, die schöne Kristallkönigin wiederzusehen. Er klopfte an den Felsen, rief sie mit allen ersinnlichen Schmeichelworten, und wenn alles nicht half, legte er sich nieder, um einzuschlafen, weil er dann hoffte, von ihr zu träumen. Aber auch das war ihm versagt und so härmte und grämte er sich ab und verkam sichtlich, so daß es allen auffiel und ihn mancher beredete. Er war aber verschwiegen und verriet nichts von dem, was in ihm vorging und mit ihm vorgegangen war. Am meisten schnitt sein Betragen der schönen Wolfsindis ins Herz, denn sie hatte ihn als ihren Bräutigam sehr lieb und weinte bittere Tränen, wenn sie zu Berchtolds Vater nach Bernstorf hinüberkam. Das tat sie nun oft, und beide trösteten dann einander in ihrer Verlassenheit, so gut es ging.

  Eines Tages ging nun Berchtold wieder an seinen Lieblingsplatz im Walde und versuchte wieder alle Mittel, von denen er hoffte, daß sie die Kristallkönigin herbeiführen könnten. Wie alles vergeblich war, wurde er ungeduldig und stieß mit Unmut den Ring an der Hand fest an den Felsen, indem er rief: „Zerbrich, du schlechter Reif, wenn du sonst nichts kannst als mich an das erinnern, was ich doch verloren habe und nie wieder besitzen soll!“

  Kaum hatte er aber den Stoß geführt, als sich der Felsen mit lautem Krachen öffnete und die ersehnte Gestalt in aller Schönheit und allem Glanz wie das erstemal vor ihm stand. Er war ganz außer sich vor Entzücken, und auch die Königin empfing ihn freundlich und mit Freude: „Wie lange hast du mich auf dich warten lassen,“ sagte sie mit holdseligem Lächeln. „Nach dem Gesetz, das über uns Geister herrscht, durfte ich dich nicht eher wiedersehen und dir auch keinen Wink geben, wenn ich dich nicht auf immer verlieren wollte. Darum mußte ich schweigen und warten, bis du selbst dahin kommen werdest, daß der Ring die Kraft hat, mich zu dir zu rufen.“ Sie setzten sich nun unter den Felsen ins grüne Gras und kosten und plauderten viel miteinander, und Berchtold dachte nicht entfernt mehr an die arme Wolfsindis.

  Endlich sagte die Königin: „Meine Zeit ist um, ich muß nun wieder in mein Reich zurück und muß dich verlassen.“ Berchtold aber wollte sie nicht von sich lassen und bat sie, zu bleiben. „Ich kann nicht mehr leben ohne dich!“ rief er voll glühender Leidenschaft. „Gibt es denn kein Mittel, das mich auf immer mit dir vereinigen kann?“

  Die Kristallkönigin lächelte noch viel schöner als zuvor und antwortete: „Wohl gibt es ein Mittel, aber es ist schwer und gefahrvoll. Du mußt aufhören, ein Mensch zu sein, und mußt einer der Unsern werden!“

  „Wie kann ich das?“ rief der verblendete Berchtold hastig, obwohl es ihm bei diesen Worten unwillkürlich wie ein kalter Schauer über den Rücken rieselte.

  „Das will ich dir sagen,“ flüsterte die Königin; „komm morgen wieder hieher. Sobald dann der Schatten jener Eiche auf diesen moosbewachsenen Stein fällt, zünde ein Feuer an und hebe den Stein empor. Du wirst unter ihm eine grüne Eidechse sitzen sehen, die nimm und stelle dich vor das Feuer, dann rufe dreimal mit lauter Stimme gegen den Felsen hin:

Königin im kristallnen Stein,
Mach’ mich los vom Fleisch und Bein,
Deinesgleichen will ich sein!

  Das drittemal wird die Eidechse in die Flamme und in derselben Minute öffnet sich der Berg, ich nahe dir an der Spitze aller meiner Getreuen und führe dich als Gemahl in mein Reich, um immer mit dir zuleben.“

  „Und wie werde ich verwandelt sein?“ fragte Berchtold, in welchem Sorge und Begier miteinander kämpften.

  „Du wirst Wasser für Blut in deinen Adern haben,“ sprach die Königin, „und wirst dich nicht mehr um das grämen, um was die Menschen Herzeleid haben, denn dann hast du keine Seele mehr. Willst du, mein Trauter?“

  „Ich will!“ rief Berchtold und hielt ihr seine Hand zum Einschlagen hin; sie ergriff sie hastig und – war verschwunden.

  Am andern Tage war Berchtold lange vor der bestimmten Stunde am Platze. Es war ihm, als ob die Sonne still stehe, denn der Schatten des Eichbaumes wollte nicht von der Stelle rücken; endlich, nach langem Harren, fiel er auf den moosigen Stein, und bald prasselte ein helles Feuer aus trockenem Reisig in die Höhe. Berchtold hob den Stein – die grüne Eidechse saß darunter und sah ihn wie mit feurigen Augen an, aber sie rührte sich nicht und ließ sich ruhig ergreifen. Nun trat er vor das Feuer hin und begann den Zauberspruch. Zweimal hatte er ihn schon mit lauter Stimme gegen den Felsen hin gesprochen, schon wollte er ihn zum dritten Male beginnen und die Eidechse ins Feuer werfen, da rief von ferne eine Stimme laut und ängstlich aus dem Gebüsch: „Halt ein! Im Namen Gottes, Berchtold – halt ein!“

  Auf diesen Ruf ertönte ein wilder, gellender Schmerzensschrei aus dem Felsen, das Feuer schlug unbändig bis über die Bäume empor und fuhr am Boden durch die Gegend hin wie eine flammende Windsbraut. Die Eidechse in Berchtolds Hand aber war eine große Schlange geworden, die sich wild bäumte und zischte. Berchtold selber lag wie tot da.

  Einen Augenblick später war alles ruhig. Der Himmel war wieder heiter, die Bäume grün wie zuvor, und neben dem leblosen Berchtold kniete die treue Wolfsindis und bemühte sich, ihn ins Leben zurückzubringen. Sie war es gewesen, deren frommer und liebevoller Zuruf den Zauber zerstört hatte. Es war ihr aufgefallen, daß Berchtold immer allein und immer in den nämlichen Teil des Waldes zu jagen ging; sie hatte sich darum vorgenommen, ihn zu belauschen, und so war sie gerade im rechten Augenblick gekommen, ihren Geliebten vom Untergang zu retten.

  Berchtold lag in heftigem Fieber und kam erst nach Monaten wieder zur Besinnung und Gesundheit. Wolfsindis pflegte ihn emsig und treu, aber seine Seele, die einmal im Banne der Geister gewesen, blieb zerstört. Er bedurfte vieler Jahre, bis er wieder ganz ruhig wurde; den alten Frohmut fand er nicht wieder. Er heiratete die gute Wolfsindis, liebte und ehrte sie und ward ein alter Mann – aber seine Stelle, wo er begraben liegt, kann niemand sagen. Auf den Grabsteinen in der alten Kapelle standen die Namen seines ganzes Geschlechtes, den seinigen hat man nirgends gefunden, und es ging das Gerede, daß er gar nicht gestorben sei, sondern daß die Kristallkönigin doch noch einmal Gewalt über ihn gewonnen, ihn wieder jung gemacht und ihn in ihr Reich geführt habe, zu ihren Geistern, die keine Seele haben. An der Stelle aber, wo sie ihm zuerst erschienen, war alles öde geworden. Riesenhafte Kristallfelsen ragten in die Höhe statt der grünen Baumwipfel, und so weit sich das Feuer wie eine Schlange auf dem Boden forterstreckt hatte, war alles Leben verschwunden und die Erde zu Kristall zusammengeschmolzen.

  Und so sagen die Leute, ist der „Pfahl“ entstanden. (Frei nach H. Schmids Sagen vom Bayerwald.)

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