Brief vom 05.05.1999
Hallo Wolfgang!
Ersteinmal danke fuer Deine Zeilen - sie zeigen mir, dass meine HP doch nicht ganz fuer die Katz' ist und zum Nachdenken
anregt. Natuerlich kann ich Deinen Kommentar nicht unkommentiert lassen, aber nachdem auch mich der Semestertrubel
wieder voll erwischt hat, werde ich mich auf das Noetigste beschraenken. Ich denke und hoffe, dass Du dafuer Verstaendnis hast.
Wenn mich nicht alles taeuscht, dann hat Christian eh' schon mit Dir ueber
mich diskutiert. Und bevor da noch mehr komische Meinungen ueber mich
aufkommen, schalte ich mich am besten selbst mal ein...
Komische Meinungen ueber Personen pflege ich gemeinhin nicht zu haben,
ueber gewisse Ansichten derselben aber durchaus ;-)
Die Suche nach den Urspruengen des Boesen
Seit es die Menschheit gibt, gibt es das Boese. So jedenfalls koennte
man meinen. Schlaegt man die ersten Seiten des AT auf, bekommt man aber den Eindruck, als
haette es einmal eine friedfertigere Zeit gegeben, genannt Garten Eden, Paradies oder wie auch immer.
Nicht nur "friedfertiger"...
Dort beging der Mensch - laut Hl. Schrift - zum ersten Mal das, was wir "boese" nennen.
Das stimmt nicht ganz. Er suendigte. Das Boese ist erst eine Folge davon.
Um dies nicht zur Gretchenfrage um das Zuerst von Henne oder Ei
geraten zu lassen, muss man nicht in die Trickkiste greifen. Ich bin
der Ueberzeugung (wie im uebrigen auch die kath. Kirche), dass Suende
eine "Praeexistenz" des Boesen verlangt. Dies wird durch das Erscheinen
der Schlange im Garten Eden sozusagen bereits handgreiflich.
Doch damit ist noch nichts erklaert, im Gegenteil:
es stellen sich eine ganze Menge unangenehmer Fragen. Eine davon
lautet: Ist denn das Boese urspruenglich dem Menschen entsprungen?
Nein, das geht aus der Bibel eindeutig hervor. Hilfreich ist es
dabei, sich den urspruenglichen Auftrag des Menschen anzusehen (die
Antwort auf die Frage, warum Gott ihn ueberhaupt geschaffen hat):
Er sollte den Garten Eden bebauen, bewahren und sich die Erde
untertan machen. Ich habe erst kuerzlich in einem Buch gelesen, dass
die Woerter im Urtext eine ziemlich scharfe Bedeutung haben.
"Bewahren" meint ein scharfes Bewachen von Gegenstaenden, die in
Gefahr stehen, abhanden zu kommen und das "untertan machen" bedeutet
ein "unterjochen", wie "Kelter treten" (fuer das muesste ich nochmal
nachlesen, habe ich schon wieder teilweise vergessen). Warum die
scharfen Begriffe? (Meine :) Antwort: Das "Boese" war schon da, und
der Mensch war Gottes Werkzeug, die Herrschaft Gottes auf der Erde
(laut Bibel Herrschaftsgebiet Satans) wiederherzustellen (vgl. Eph.
6,12). Dabei hat der Mensch versagt. Aber Gott hat seine Absicht, mit
Hilfe des Menschen (im Sinne von: durch den Menschen), die Herrschaft
zurueckzugewinnen, nicht aufgegeben, auch wenn Jesus dafuer sterben
(und auferstehen) musste. Vergleiche dazu Gottes Fluch gegen die
Schlange kurz nach dem Suendenfall (1.Mose 3,14+15).
Dieser Satz war eigentlich als rhetorische Frage gedacht! Im uebrigen
widersprichst Du Dir, wenn Du zum einen sagst, das Boese sei eine
Folge der Suende (s.o.) und zum anderen das Boese als "schon da"
titulierst. Bleibt ja immerhin noch die Frage, seit wann das Boese
"da" ist ...
Wenn nicht, woher stammt es dann? Im Buch Daniel, im Judasbrief und
in der Apokalypse lesen wir vom Engelsturz, doch auch hier ist die
auch in Hesekiel und Jes 14,4ff
Danke :)
Entscheidungsfaehigkeit zum Boesen bereits vorhanden und damit bereits
das Boese selbst.
Die Differenzierung Suendigen/boese habe ich schon oben vorgenommen.
Als Differenzierung konnte ich das wie gesagt nicht erkennen, eher
als Widerspruch.
Hier tut sich also die unangenehmste Frage auf:
Kommt das Boese von Gott? Nach christlicher Lehre ist das nicht
moeglich.
Klagelieder 3,38f
Dass Du dieses zitierst, verleitet mich zu der Annahme, dass zu zu
biblischer Steinbrucharbeit neigst, d.h. Du suchst Dir aus der
Schrift scheinbar schluessige Argumentationsketten zusammen. Man
sollte vor allem solch schwierige Stellen nie ohne ihren
soziokulturellen Hintergrund betrachten und nicht ohne weiteres
unreflektiert auf unsere Zeit uebertragen. Die Schrift ist
beileibe nicht so simpel gestrickt, dass das moeglich und zulaessig
waere. Dass ich das sage liegt auch daran, dass ich die Bibel mit
wissenschaftlichen Augen zu sehen gelernt habe, ohne freilich den
spirituellen Charakter zu verwischen. Aber beides, Glaube UND
Verstand, sind unabdingbar noetig, um zur vollen Wahrheit und
Erkenntnis zu gelangen. Mehr davon unten.
Ich gebe zu, dass ist eine schwierige Stelle (und widerspricht
scheinbar dem, was ich oben gesagt habe) und nicht die einzige dieser
Art in der Bibel. Die Antwort duerfte in V. 39 liegen (ich weiss, wie
"krass" das ist).
(vgl. Roemer 9, 14ff.:
Das ist echt hart und raetselhaft, auch fuer mich :-). Aber wir sollten
uns hin und wieder mal vergegenwaertigen, wer Gott ist und wer wir
sind: Schoepfer und Geschoepfe.
Es ist gut, wenn Du ausgiebig zitierst (aus Platzgruenden habe ich
das Zitat geloescht), aber es ist aus der Stelle nicht ablesbar, dass
Gott ambivalent ist, d.h. einen boesen Teil in sich traegt.
Die Allgegenwart "des Boesen" scheint das aber zu
widerlegen. Eine weitere Denkmoeglichkeit waere ein dualistisches
System, in dem zwei sich ewig bekaempfende Prinzipien, Gut und Boese,
auf die Welt ein- und in ihr wirken. Dem christlichen Glauben
widerspricht auch das. Und sogar wenn das Boese im Menschen oder dem
abtruennigen Engel originaer waere, muesste man dann nicht einen Fehler
in der Schoepfung vermuten? Waere dann Gott noch Gott oder ein
lediglich selbst noch in seiner eigenen "Evolution" gefangenes
Wesen?
Dieser Absatz ist durch das oben gesagte schon gegenstandslos und,
offen gesagt, etwas abstrus.
Abstrus findest Du es wahrscheinlich deshalb, weil es Deiner Art oder
Gewohnheit zu Denken zuwider laeuft. Aber eben diese Gedanken haben
ganze theologische Systeme gepraegt (Zoroaster, Manichaeismus, Gnosis
... bis zu den Katharern, Albingensern und Waldensern) und sind
insofern wichtig, als sich das Christentum bis ins Hochmittelalter
sich ihrer erwehren musste.
Einen anderen Erklaerungsversuch fuer den
Ursprung des Boesen nimmt man fuer gewoehnlich ueber das Thema
"Freiheit" vor. Gott hat seine Geschoepfe in die (von ihm
geschaffene!)
Warum das Ausrufezeichen? Gerade das Gegenteil (die "Einengung" des
Menschen durch Gebote Gottes) wird doch so oft kritisiert! Die Freiheit
will man haben, aber die negativen Folgen des Missbrauchs derselben soll
Gott bitteschoen verhindern!
Das "!" soll zum Ausdruck bringen, dass der Mensch nur dann
verantwortlich und ethisch handeln kann, wenn er sich die Freiheit
als goettliches Geschenk, als Gnadenakt, als Heilshandeln Gottes am
Menschen ins Bewusstsein ruft. Sobald der Mensch die Rueckbindung an
Gott verliert oder preisgibt, verliert sich auch sein
ethisch-moralisches Handeln in Beliebigkeit. Darin stimmen wir wohl
ueberein.
Entscheidungsfreiheit gestellt, nicht ob sie - und
hier liegt m.E. ein Ansatz zur Loesung - das Boese tun oder lassen,
sondern ob sie "Ja" oder "Nein" sagen wollen. Vielleicht ist das die
bequemste Art, diese Frage loszuwerden, und wahrscheinlich auch
nicht eine, die jeden zufriedenstellt;
Wieso nicht?
Weil sie den Glauben an den christlichen Gott voraussetzt, der ja
beilibe nicht selbstverstaendlich ist.
nachdem die Bibel aber keine
Loesung anbietet, ist das Reflektieren darueber beinahe schon
Verpflichtung
Wir muessen Loesungen finden, weil die Bibel nicht weiter weiss?!?
Ich denke, die Bibel sagt genuegend darueber.
(was nicht heissen will, dass man die "Loesungen" der
Bibel nicht auch kritisch hinterfragen sollte ...).
Ziemlich anmassend, vgl. die Roemerstelle.
Es genuegt nicht, einen Wortlaut der Bibel, noch dazu einer
Uebersetzung, blind zu adaptieren! Reflexion ist stete Verpflichtung.
Und die Roemerstelle ist nicht hilfreich, s.o. Ausserdem sollte man
beachten, dass Paulus bereits Theologie betreibt, d.h. die Umdeutung
des AT zu christlichen Zwecken. Das ist aus unserer Sicht legitim,
weil dadurch die Heilsnotwendigkeit der Erloesungstat Christi die
anthropologische Rechtfertigung erfaehrt. Aber der liebe Paulus war
eben nur ganz Mensch, mit allen Fehlern und Makeln.
Letztendlich
waere das Boese also nur ein ins Extreme geratene "Nein" der Geschoepfe
Ziemlich gute Erklaerung (natuerlich wieder aus meiner Sicht der Bibelstellen)...
Wenn Du mir an dieser Stelle beipflichtest, kannst Du gegen den Rest
meiner Argumentation nicht viel haben :-)
Die philosophische Sicht der Sachlage ist - nebenbei bemerkt -
durchaus einer genaueren Reflexion wert; eine endgueltige schluessige
Loesungsmoeglichkeit habe ich aber bislang auch dort nicht entdeckt
(was nicht heissen soll, dass die Philosophie stets mehr erklaert als
die Theologie ;-)), auch soziologisch angehauchte Deutungen bringen
wenig.
Menschliche Weisheit hat's noch nie besonders weit gebracht.
Das ist zu kurz gefasst, weil die Weisheit dem Menschen immanent
und eine Gabe Gottes ist. Oben habe ich bereits die Notwendigkeit von
Glaube UND Wissen angedeutet. Ich moechte Dir deshalb auch das
"Vermaechtnis" von Papst Johannes Paul II., seine letzten Herbst
erschienene Enzyklika "Fides et ratio" (Glaube und Vernunft) zur
Lektuere ans Herz legen. In der Einleitung dazu heisst es (Vorsicht, es
ist ein sehr "dichter" Text, sozusagen ein Konzentrat): "Glaube und
Vernunft sind wie die beiden Fluegel, mit denen sich der menschliche
Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt. Das Streben, die Wahrheit
zu erkennen und letztlich sich selbst zu erkennen, hat Gott dem
Menschen ins Herz gesenkt, damit er dadurch, dass er ihn [gemeint
ist Gott] erkennt und liebt, auch zur vollen Wahrheit ueber sich
selbst gelangen koenne." Des weiteren wird im uebrigen die Philosophie
als herausragende Moeglichkeit auf dem Weg der Wahrheitsfindung
genannt. Ich finde diesen Text sehr schoen, weil er den Menschen als
ganzes begreift und ihn nicht zu unmuendigen, blind gehorsamen Wesen
degradiert. Der Text reisst wie gesagt auch zahlreiche andere Aspekte
an, auf die ich aber hier nicht eingehen kann und moechte.
Aber vielleicht hilft mir ein geneigter Leser auf die Spruenge ...?
Ich werde dem Autor diesen Ausschnitt weiterleiten (mit meinen
Kommentaren), vielleicht bringt's ihm was (das soll aber nicht heissen,
dass ich meine Meinung fuer den "Weisheits letzter Schluss" halte).
Das ist nur recht so, ich ja auch nicht.
Soweit der Ausschnitt. Kommentare sind willkommen, aber mit dem Hinweis
darauf, dass zur Zeit wegen der Diplomarbeit meine Zeit zum Mailen
begrenzt ist.
Das ist fuer mich akzeptabel, Du kannst auch gerne nochmals Stellung
nehmen. - Wir werden wohl bei einigen Themen keinen gemeinsamen
Nenner finden. Aber wenn es richtig ist, dass die Kirchen ihre Einheit
in Vielfalt leben duerfen, dann werden unsere Positionen trotz aller
Kontroversitaet irgendwo auch berechtigt sein.
Viele Gruesse uind den Segen des Allmaechten
Michl
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